Ein roter Wollfaden; über diesem die Worte Über das Lesen.

Über das Lesen

Mit der Lesekompetenz verhält es sich ähnlich wie mit dem, was Watzlawick über Kommunikation sagte: Wer lesen kann, kann nicht nicht lesen. Überall sind Buchstaben, alle sind im Augenblick entziffert. Auf den Straßen, in den Geschäften, am Smartphone, Lesestoff von früh bis spät.

Was beim Lesen geschieht

Es ist immer wieder spannend, alltäglichem wie dem Lesen auf den Grund zu gehen. Meine erste Überraschung bei diesem Tauchgang in den Vorgang des Lesens, war, dass wir gar nicht alle Wörter lesen. Einige erkennen wir eher mit dem Areal des Gehirns, das für die Bilderkennung zuständig ist: Wir erkennen Muster.

Wozu brauchen wir Muster?

Rasche und möglichst zutreffende Mustererkennung sichert das Überleben. Es ist ein großer Unterschied, ob das Gras in der Steppe raschelt, weil dort eine Antilope grast oder ein Säbelzahntiger zum Sprung ansetzt. Das Muster „Säbelzahntiger“ löst umgehend Fluchtreflexe aus. Das Muster „Antilope“ lässt vielleicht zum Bogen greifen.

Mustererkennung hilft uns bis heute schadlos durchzukommen. Etwa beim Einkauf eine Entscheidung zu treffen. Würden wir erst aktiv nachdenken über jedes Produkt, welches das Auge im Supermarkt wahrnimmt, bliebe der Kühlschrank vielleicht leer. So greifen wir schnell zur vertrauten Verpackung mit dem bekannten Schriftzug und nehmen die anderen nicht einmal richtig wahr.

Muster erkennen, genauer lesen

Ein bekanntes durch Schrift gebildetes Muster ist der eigene Name. Den erkennen wir in jeder Schriftart. Auch jeden Schreibfehler machen wir in Millisekunden aus und könnten dies wahrscheinlich dann noch, wenn der eigene Name in Spiegelschrift oder rückwärts erscheint. So fest prägen sich Muster ein.

ABC-Schüler erleben es anders. Noch sind keine Muster gebildet. In Stufe 1 des Lesens wird Buchstabe für Buchstabe erkannt. Der Buchstabe wird mit einem Laut verbunden und erst, wenn das Wort innerlich und bei manchen auch hörbar gesprochen wurde, wird es zu einem Begriff, den wir mit etwas bereits bekanntem verknüpfen. Bei unbekannten Wörtern bleibt das übrigens so, nicht aber bei einmal abgelegten Mustern. Ein Leseschüler und eine lesekompetente Person nehmen das Wort Auto demnach ganz unterschiedlich wahr.

Wörter werden zu Bildern

Auf Stufe 2 gilt es, Satzbau und Grammatik zu erkennen, um das Gelesene aus mehr als einem Wort in Sinn-Einheiten zu gliedern. Es wird ein inhaltlicher Bezug hergestellt, der dem Text zugrunde liegt: der berühmte rote Faden. Erst dann beginnt der Abgleich oder die Verknüpfung zwischen dem Gelesenen und eigenen Wissen zum Inhalt.

Es überrascht darum wenig, dass vor unserem geistigen Auge sofort ein Auto erscheint, sobald wir das „Auto“-Muster erkennen, also das Wort lesen. Zwar mag es sich bei jedem und jeder um ein anderes Modell handeln, doch ein fahrbarer Untersatz mit vier Rädern ist es auf jeden Fall. Woran denkst du aber, wenn du das Wort/Muster Ksietohhasö siehst? An nichts? Eben, dieses Wort existiert nicht. Das mögen viele bitte bei der Verwendung von Akronymen bedenken. Meist sind diese weniger verbreitet, als es scheint.

Der Ksietohhasö als neues Produkt

Nun geschieht es immer wieder, dass es neue Wörter bis in den Alltagssprachgebrauch schaffen. Dem geht meist eine längere Einführung des Wortes voran. So definierte der Duden die korrekte Schreibweise von Homeoffice zunächst mit einem Bindestrich: Home-Office. Das diente dazu, den noch neuen Begriff schneller lesbar zu gestalten. Sobald sich das Wort in der Gesellschaft durchgesetzt hatte, entfiel der Bindestrich: Homeoffice.

Das geschieht vermutlich nie mit Eigenbezeichnungen wie einem Produktnamen. Dann liegt es am Hersteller, den neuen Begriff in seiner Zielgruppe einzuführen. Das dauert seine Zeit, gehört jedoch zu den Pflichten derer, die dem neuen Produkt zu besserem Absatz verhelfen wollen.

Beim Schreiben ans Lesen denken

In beiden Stufen des Lesens kennen Texter (mwd) Methoden, zu besseren Ergebnissen zu gelangen. Ob es nun die Verständlichkeit von Texten betrifft oder deren allgemeine Lesbarkeit. Per Hand leserlich zu schreiben, fällt nicht allen leicht. Ärzte (mwd) werden an dieser Stelle gern als abschreckendes Beispiel genannt. Doch auch meine Schrift kann ich meist nur selbst entziffern. Es fehlt an motorischer Übung. Welch Glück schreiben wir weltweit immer mehr digital. Dort ist die Schriftart ausschlaggebend über die Leserlichkeit des Geschriebenen. Verschnörkelte Schriften sind für Fließtext eher ungeeignet.

Den Hauptausschlag gibt meiner Ansicht nach jedoch die Verständlichkeit. Sprachliche und stilistische Gestaltung greifen hier ein. So ist Fachsprache für Laien etwa eine Art Chinesisch rückwärts. Fachkollegen freuen sich darüber, weil sie genau wissen, worum es geht. Zum Problem kommt es, wenn sich ein Fachtext an ein durchschnittliches Publikum richtet. Da können Details zum Phasenumwandlungsinhibitor deines neuen Gebraucht-Transporters und über Vorschriften der Sternenflotte dazu schon etwas langweilig sein. Man will doch nur von A nach B und heil ankommen.

Tipp: Ein Gemisch aus kürzeren und längeren Sätzen ist gefällig zu lesen. Inhalte lassen sich mit Aufzählungen übersichtlich darstellen. „Ein Absatz, ein Gedanke“ ist ebenfalls ein gutes Hilfsmittel, lesbare Texte zu verfassen. Verzichtet dort, wo es möglich ist auf Fremdwörter und Fachbegriffe und drückt euch einfach aus. Dann wird es auch hanseatisch gut. Sonst melde dich gern bei mir.